Rückkehr der Religionen
Die Welt ist religiöser denn je. Daran erinnert uns David Barret in seiner "World Christian Encyclopedia". Religionen fast aller Art sind als bestimmende Faktoren in das menschliche Leben zurückgekehrt.
Die Rückkehr der Religion ist jedoch nicht einfach "etwas Gutes". Die moderne religiöse Wirklichkeit ist zweideutig und hat ein Janusgesicht, das zugleich das Beste und das Schlimmste im menschlichen Charakter enthüllt.
Ob es uns nun gefällt oder nicht - wir müssen mit dieser Wirklichkeit leben es ist deshalb notwendig, sie zu verstehen.
Neue religiöse Bewegungen, Jugendreligionen, Kulte
Obwohl auch die alten Religionen wieder quicklebendig werden, gibt es keinen Zweifel, daß das Wachstum und die Expansion der Neuen Religiösen Bewegungen (New Religious Movements =NRM) eines der erstaunlichsten Ereignisse dieses Jahrhunderts ist. Die NRM sind seit drei oder vier Generationen in der ganzen Welt wirksam, normalerweise zuerst in gegenkulturellen Nischen ("counter-culture").
Neuerdings sind die NRM aber auch als ein wichtiger sozialer, politischer und religiöser
Faktor in die allgemeine Öffentlichkeit vorgerückt. Barrett schätzt, daß in zehn Jahren etwa
138 Millionen Menschen Mitglieder in verschiedenen NRM sein werden.
Übernahmen aus Hinduismus und Bud dhismus machen für viele NRM eine wichtige Quelle
aus. Ein großer Prozentsatz dieser Bewegungen steht mit dem in Verbindung, was man
Guruismus genannt hat nämlich mit den modernen Hindu-Bewegungen, die sich auf die
Lehre charismatischer Gurus oder Swamis orientieren. Ihre Anhänger betrachten diese
Bewegungen als göttliche Triumphwagen, die in Richtung Erleuchtung rollen.
Guruismus: der Gegenstoß von Hinduismus und Buddhismus
Der moderne Hinduismus hat im Guruismus besondere und hart zupackende Methoden dafür
gefunden, die Welt für das in neue Gewänder gehüllte Dharma ("Lehre") eines früheren
Zeitalters zu gewinnen. Yoga ist sowohl im Osten als auch im Westen eine populäre
Aktivität, und Yoga ist ein effektives Werkzeug, mit dem die Gurumission Ost und West
durchdrungen hat.
Der Yoga in seinen vielen Formen führt Millionen Menschen zu einer hinduistischen Weltsicht
und -erfahrung. Oft erklären die Yogis aber gerade die geistlichen Aspekte der
Yoga-Praxis nicht vollständig. Nur nach und nach lernen die Meditierenden das Samsara
(die Seelenwanderung) und das Karma (das universelle Gesetz von Ursache und Wirkung)
als das Zentrum ihrer neu übernommenen Religiosität kennen, ein Zentrum, das erst durch
den prägenden Einfluß von Yoga selbst geschaffen wird.
Außerdem sind moderne Varianten des Buddhismus, besonders der tibetische Buddhismus
und die Vipassana-Meditation, weitere wichtige Teile der neoreligiösen Trends, ebenso
wie auch Okkultismus und die verschiedenen Typen von Neo-Gnostizismus und New
Age-Synkretismus es sind.
Auch allerlei christliche sektiererische Lehren und Abweichungen werden immer häufiger
dafür gebraucht, totalitäre Gruppen und Strukturen zu rechtfertigen.
Die meisten Kombinationen solcher Glaubensformen sind von ultrafundamentalistischer
Natur, und oft gibt es eine starke Betonung der apokalyptischen Rolle der jeweiligen
Gruppe im Kampf um das Überleben der Menschheit. Einige dieser Bewegungen
betreiben eine effektive internationale Mission. Ihr globaler Charakter hilft dabei mit, die
Hingabe und Unterordnung der Gruppenmitglieder gegenüber ihren Führern zu festigen.
Neben den jeweils eigenen religiösen Aktivitäten jeder einzelner dieser Gruppen wirkt der
Ultrafundamentalismus auch durch gemeinsame Aktionen für gemeinsamen politischen
Einfluß. Kenntnis über diese religiöse Wirklichkeit ist deshalb von größter Bedeutung für
die Kirchen, aber auch für die politische Öffentlichkeit.
Das Wiederaufleben der Religiosität geschieht in einer Periode, in der die christlichen Kirchen
die religiösen und geistlichen Dimensionen ihres Glaubens generell vernachlässigt haben.
Manche Leute waren sogar zu der Auffassung gelangt, daß das Ende der Religion
gekommen sei, und daß die Zukunft des Christentums in rein säkularen, sozialen oder
politischen Begriffen gefunden werden müsse. Die Folge war, daß die Kirchen als Ganzes
sich zurückzogen und die neue Religiosität mit einer Mischung aus Unverständnis und
Furcht beobachteten.
Obwohl Forschungsprojekte in manchen Ländern laufen und einige wichtige Resultate
erreicht worden sind, ist (auch finanzielle) Unterstützung meist nur ein Nebenprodukt eher
randständiger Interessen. Viel mehr Unterstützung und Förderung wäre notwendig.
Wir haben oft mehr Aufmerksamkeit für die säkularen Faktoren, die das Leben beeinflussen,
als wir für die vielen neuen Religionen haben, die den christlichen Glauben angreifen und
Kirchenmitglieder absaugen.
Die elementarsten Begriffe der NRM sind vielen Kirchenführern und Theologen unbekannt.
Ein Beispiel: Der fundamentale hinduistische Begriff "Kundalini" kann als die dominierende
Gegen-Gottheit unseres Zeitalters betrachtet werden. Wie viele Leute kennen aber die
wirkliche Natur und Bedeutung dieser "Schlangenkraft"?
Ein neuer Ansatz für christliche Mission
Wenn wir die bisherige geistliche Passivität der Kirchen realistisch zur Kenntnis nehmen, wird
es uns kaum überraschen, daß wir auch eine allgemeine Blockade in der Mission der
Kirchen gegenüber anderen Religionen sehen, und besonders gegenüber den neuen
Religionen. Wir werden der missionarischen Herausforderung durch diese neuen
Bewegungen nicht gerecht. Generell kann man auch sagen, daß christliche Mission und
Gurumission sich selten begegnen. Sie gehen in gegenseitiger Unkenntnis aneinander
vorüber.
In einer solchen Lage braucht man eine neue Herangehensweise für die Begegnung. Eine
solche neue Perspektive anzubieten, das ist es, was das Dialog Center International (DCI)
will. Der Dialog ist ganz einfach eine Notwendigkeit mitten unter den neuen Religionen der
modernen Welt, damit die Leute sich treffen und verständigen können. Aber welche Art
des Dialogs wollen wir?
Nicht den höflichen, ausweichenden Dialog einer Cocktailparty, sondern einen neuen,
konfrontierenden, aufrichtigen Dialog, wo die Teilnehmenden ihr Engagement, ihr
"Commitement" gegenseitig offen anerkennen und die Überzeugungen des anderen
ernsthaft anhören, um die zentralen Elemente des Glaubens des anderen herauszufinden.
Wir müssen die echten und wertvollen Elemente bejahen und die fragwürdigen Elemente
bestreiten - in den neuen Religionen ebenso wie im Christentum (denn ohne solche
kritische und selbstkritische Haltung könnte es keine lebendige Erneuerung in unseren
Gemeinden geben).
Denjenigen, die sich zurückziehen und auf bessere Zeiten warten, vielleicht "die guten
alten Zeiten, als das Christentum noch am Ruder war", müssen wir sehr deutlich sagen: Es
gibt keinen Weg zurück. Wir müssen unter den neuen Bedingungen leben. Der christliche
Glaube hat auch bei uns sein Monopol verloren und wird weithin nicht mehr als die
Grundlage für den kulturellen Konsens betrachtet. Um eine lebendige Wirklichkeit zu sein,
muß der christliche Glaube inmitten und zusammen mit allen anderen Formen menschlichen
Glaubens leben.
Aber auf welche Weise kann das Christentum mit diesen anderen Religionen leben?
Entweder im Antagonismus oder im Dialog. Dialog ist der "way of life", die Lebensweise,
in der die Kirche authentisch und echt in ihrer Sendung (Mission) sein kann.
Das Dialog Center hat seit seinem Anfang 1974 diese Wahrheit anerkannt. Und es ist
auch heute der Zweck des Dialog Centers, Mittel und Wege für einen echten,
verantwortlichen Dialog zwischen Christen und den Anhängern der neuen (und alten)
Religionen zu schaffen. Es hat sich dabei ganz deutlich erwiesen, daß ein verantwortlicher
Dialog ohne Religionskritik nicht möglich ist. Denn oberflächliche, gemeinsame
Über-Begriffe und Konzepte für verschiedene Religionen und Glaubenssysteme
verschleiern oft, daß einige schlecht, einige gut, einige falsch, und einige wahr sind. Dialog
bedeutet zu unterscheiden, klarzustellen, sich zu verständigen. Dies ist nicht möglich ohne
irgendeine Art von Konfrontation. Es wäre ein ernster Irrtum, Dialog und Konfrontation als
Gegensätze aufzufassen. In der Erfahrung des Dialog Centers gehören beide zusammen.
Das positive Ergebnis ist, daß wir heute Respekt und Glaubwürdigkeit sogar unter den
neuen Religionen genießen, weil wir ihre Glaubenssysteme ernst nehmen, ohne unsere
eigene Loyalität zum klassischen, christlichen Glauben irgendwie zu mindern. "Dialog in
Konfrontation" ist das Motto für die Mitarbeiter des Dialog Centers International (DCI)
geworden.
Das Dialog Center in Aarhus, Dänemark, operiert seit 1974 auf nationaler Basis. Seine heute
3.500 Mitglieder, manche davon aktiv in 43 lokalen Gruppen im ganzen Land, und die 400
Kirchengemeinden und Schulen, die Gruppenmitglieder geworden sind, erhalten alle eine
dänische Vierteljahresschrift, "Den Nye Dialog" (Der Neue Dialog). Sie treffen sich
regelmäßig zu Diskussionen und Planungen.
Das Dialog Center-DK bietet Verwandten und Freunden von Neuangeworbenen der
Neureligionen stützende Beratung an, aber auch den Mitgliedern dieser Bewegungen
selbst. Kirchliche Mitarbeiter und Laien werden durch Publikationen und Artikel, die
Analysen des Glaubens und der Praxis der verschiedenen Gruppen enthalten, informiert.
Ausgebildete Mitglieder des Dialog Centers-DK reisen durch ganz Dänemark, um
Kirchengruppen und Bürgergruppen Vorträge über neue Religionen und die damit
verbundenen Themen und Probleme zu halten. Christliche und weltliche Organisationen,
die Medien und Regierungsstellen, haben von den Ressourcen des Dialog Centers
Gebrauch gemacht und seinen Wert dadurch bestätigt. Die dänische Landeskirche hat
junge Pfarrer für diesen spezifischen Dienst in Zusammenarbeit mit dem Dialog Center in
Kopenhagen und Aarhus freigestellt.
Gruppen aus anderen Teilen der Welt mit Zwecken und Absichten, die denen des Dialog
Centers-DK ähnlich sind, trafen sich seit 1975 alljährlich in Aarhus für die sogenannten
Dezemberseminare und Sommerseminare. Mehrere Gruppen und Organisationen innerhalb
dieses Netzwerks sind inzwischen assoziierte Mitglieder des Dialog Centers International
geworden. Die NRM sind fast alle multinationale Organisationen. Folglich muß eine auf sie
bezogene christliche Mission ebenfalls international sein, sowohl in den Zielen als auch in
der Struktur. Aus diesem Grund ist ein Büro für internationale Zusammenarbeit in Aarhus
geschaffen worden.
Der Dokumentationsdienst über neureligiöse Bewegungen ist im Laufe von fast zwei
Jahrzehnten durch systematische Sammlung und Archivierung von Materialien über NRM
entwickelt worden. Der Dokumentationsdienst des DCI basiert auf dieser umfangreichen
Sammlung von Materialien, die ihresgleichen sucht. Sie wird heute in der theologischen
Fakultät der Universität Aarhus geführt. Die Arbeit wird mit Hilfe des Dialog Center
International und seines internationalen Netzwerks weitergeführt. Der
Dokumentationsdienst bietet allen Anfragenden seine Hilfe an. Das Dialog Center
veröffentlicht Magazine auf englisch (Spirituality in East and West - UPDATE &
DIALOG, Inter Nos), auf dänisch (Den Nye Dialog, Os Imellem), auf deutsch
(BERLINER DIALOG) und gibt außerdem Bücher, Broschüren, Studienmaterialien
und Berichte mit Auskünften heraus für die Interessenten, die ein andauerndes und starkes
Interesse an den neureligiösen Bewegungen haben.
Dialog Center in New Delhi und Bombay
Das Dialog Center organisiert seit mehreren Jahren Forschungsreisen nach Asien.
Der Zweck ist, die Ausgangslager der östlichen neuen Religionen zu besuchen und etwas von
ihrer Arbeit "direkt aus dem Mund des Pferdes" zu lernen. Während einer dieser
Forschungsreisen haben wir mit Acharya Moti Lal Pandit Kontakt aufgenommen, einem
jungen Kashmiri, der Gelehrter des Sanskrit, der indischen Philosophie und der indischen
Literatur ist.
Die persönliche Freundschaft und Zusammenarbeit mit Moti haben zur Entwicklung eines
Projekts für die Förderung des Verständnisses des modernen Hinduismus geführt. Moti
Lal Pandit ist jetzt "unser Mann in Delhi". Es ist seine Aufgabe, die Erforschung der
zeitgenössischen indischen Religionen zu fördern und ihre Implikationen für den christlichen
Glauben und seine Praxis zu untersuchen. Diese Studien schließen den Hinduismus und den
Buddhismus ein, unter besonderer Berücksichtigung ihrer internationalen Ableger in den
NRM.
Ein ähnliches Projekt wurde in Bombay mit dem indischen Pfarrer Bal Krishna Shukla
begonnen. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Indische Kultur finden Studien statt, und
Seminare auf internationaler Ebene werden regelmäßig abgehalten.
Das DIALOG ZENTRUM BERLIN ist verbunden mit dem Dienst des Landeskirchlichen Pfarramtes für Sekten
und Weltanschauungsfragen der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg.
Das DIALOG ZENTRUM BERLIN will die Informationen und Impulse des DCI in die
deutschsprachigen Länder und Kirchen vermitteln. Besonders wollen wir auch zur
Kommunikation über die Fragen von Dialog und Apologetik beitragen bei all denen, die
deutsch lesen können - in welchen Ländern und Kirchen (Osteuropas) sie auch leben.
Wir freuen uns, daß wir bereits gute Kontakte nach St. Petersburg und Moskau, nach
Budweis, Klausenburg und Athen haben und sind bereit, dieses Netzwerk auszuweiten.
Knotenpunkt zu sein, das bedeutet auch, eingebunden zu sein in die Zusammenarbeit mit
dem Dialog Center in Aarhus, mit der (ökumenischen) Konsultation Landeskirchlicher
Beauftragter für Sekten und Weltanschauungsfragen (KLB) sowie mit
der Konsultation der Elterninitiativen (KEI) in Deutschland.
Gute Arbeitskontakte des Pfarramtes für Sekten und Weltanschauungsfragen der
Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg bestehen auch zu anderen, ähnlichen kirchlichen
Einrichtungen und Beauftragten und zu freien Initiativen (Elterninitiativen) sowie zu
kirchlichen Akademien und Einrichtungen der kirchlichen Ausbildung und Fortbildung.
Wir wirken z.B. mit an Tagungen für Mitarbeiter aus Deutschland und Osteuropa, die sich mit
den Fragen von Jugendschutz und Jugendarbeit im Zusammenhang mit Jugendreligionen,
Neureligionen und Sekten befassen und vermitteln Informationen über weitere
Fortbildungsmöglichkeiten.
Vor allem aber geben wir den BERLINER DIALOG heraus, die Zeitschrift mit Informationen
und Standpunkten zur religiösen Begegnung.